Rückenschmerzen – wenn nur noch eine Operation hilft
Zuletzt wirkten auch die stärksten Medikamente nicht mehr. «Ein stechender, brennender, pulsierender Schmerz im Kreuz, der dazu bis in den rechten Fuss ausstrahlte, als würde Strom fliessen», erinnert sich Barbara W. In der Nacht wusste sie nicht mehr, wie sie liegen sollte. Zum Essen kniete sie sich hin, weil sie es im Sitzen nicht aushielt. Hinzu kam ein markanter Kraftverlust im rechten Bein.
«Ich wollte nur eines: dass die unerträglichen Schmerzen möglichst schnell aufhören. Und ich hatte vollstes Vertrauen in Prof. Alfieri.» Barbara W.
Auf dem MRI-Bild erkannte Prof. Dr. med. Alex Alfieri, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, die Ursache der Schmerzen sogleich: ein Bandscheibenvorfall, in der Fachsprache Diskushernie. Zuvor war Barbara W. ans KSW überwiesen worden, wo als Erstes ein MRI des Rückens gemacht wurde. Prof. Alfieri sah, dass die Bandscheibe zwischen dem fünften Lenden- und dem ersten Kreuzwirbel dunkel verfärbt war. Das deutete auf eine Abnützung dieses elastischen Puffers hin, der Stösse und Erschütterungen abfangen soll. Zudem war ein wenig vom weichen Bandscheibenkern ausgetreten und drückte nun auf den Nerv. «Das Bild passte exakt zu den Beschwerden der Patientin», sagt Prof. Alfieri. «Nur wenn das übereinstimmt, schlagen wir eine Operation vor. Und diese drängt sich auf, wenn die Schmerzen so intensiv sind, dass Medikamente keine Linderung mehr verschaffen.»
Er klärte die 49-jährige Frau über die Risiken auf, etwa dass beim Eingriff ein Nerv verletzt werden kann. Das kommt allerdings nur sehr selten vor, zudem können sich die Nerven im Lendenbe- reich langsam wieder regenerieren, im Gegensatz zum Rückenmark. Barbara W. musste denn auch nicht lange überlegen, bis sie in die Operation einwilligte. «Ich wollte nur eines: dass die unerträglichen Schmerzen möglichst schnell aufhören. Und ich hatte vollstes Vertrauen in Prof. Alfieri.»
Schmerzvolle Vorgeschichte
Rückenschmerzen begleiteten Frau W. schon lange. Angefangen hatte es in ihrer Jugend im Leichtathletiktraining. Beim Hochsprung spürte sie häufig ein Stechen im Kreuz. Das ging aber vorbei. Mit dreissig Jahren kehrten die Schmerzen zurück, häufig nach Gartenarbeiten. Anfangs halfen Schmerztabletten, und Barbara W. begann mit Pilates, um die Tiefenmuskulatur zu stärken. Vor fünf Jahren strahlten die Schmerzen erstmals bis ins rechte Bein aus.
Solche Gefühlsstörungen können ein Zeichen für einen Bandscheibenvorfall sein, weshalb ihr Hausarzt ein MRI machen liess. Schon damals war die Läsion der Bandscheibe zu erkennen. Physiotherapie wurde verordnet, als keine Besserung eintrat, erhielt Barbara W. im Abstand von vier Monaten drei Spritzen mit schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten direkt an die entzündete Nervenwurzel. Die Therapie wirkte, die Patientin hatte drei Jahre Ruhe, schloss die Ausbildung zur Pilatestrainerin ab. Bis sich die Schmerzen im Februar 2019 besonders heftig zurückmeldeten und sie ans KSW kam.
75–90% der Bandscheibenvorfälle können ohne Operation behandelt werden.
Prof. Alfieri legte den Termin für die Operation gleich für die folgende Woche fest. Zuvor standen eine Blutuntersuchung und ein Gespräch mit dem Anästhesisten auf dem Programm, denn der Eingriff erfordert eine Vollnarkose. Ausserdem wurde ein Röntgenbild gemacht, um die Knochenstruktur zu prüfen und um sicher zu sein, dass sich die Rückenwirbel normal bewegen. Im andern Fall, falls die Wirbel deutlich nach vorn und zurück geglitten wären, hätte eine Versteifung des Gelenks nötig werden können. Auch solche Eingriffe werden am KSW vorgenommen. «Am KSW werden von der Neurochirurgie alle möglichen Rückenoperationen durchgeführt. So sind wir in der Lage, für jede Patientin und jeden Patienten die optimale personalisierte Therapie anzubieten», sagt Prof. Alfieri.
«Ich bekam Tipps, wie ich nach der Operation aufstehen und mich verhalten sollte. Und mir wurde erklärt, wie wichtig es ist, dass ich mich von Anfang an bewege.» Barbara W.
Physiotherapie vor der Operation
Noch vor dem Eingriff erhielt Barbara W. eine Einführung durch die Physiotherapeutin. «Ich bekam Tipps, wie ich nach der Operation aufstehen und mich verhalten sollte. Und mir wurde erklärt, wie wichtig es ist, dass ich mich von Anfang an bewege.» Früher war Bettruhe verordnet worden, heute wird darauf geachtet, dass die Patienten aktiv sind.
Am Morgen des Operationstages trat Barbara W. ins Spital ein. Ziel des Eingriffs war es, das ausgetretene Material zu entfernen und dadurch den Nerv zu entlasten. Dazu machte Prof. Alfieri einen kleinen Schnitt zwischen den Dornfortsätzen der Wirbel, dann schob er die Muskeln zu Seite, bis er unter dem Mikroskop den Nerv erkennen konnte. Schliesslich entnahm er mit einer winzigen Fasszange die gallertige Flüssigkeit. Als Barbara W. aufwachte, realisierte sie sofort: Der unerträgliche Schmerz war weg.
«Nur die für die Operation notwendigen Schnitte spürte ich noch, doch das war leicht zu ertragen», sagt sie heute. Noch am gleichen Tag stand sie wieder auf ihren Füssen und ging im Gang auf und ab. Nach drei Tagen konnte sie das Spital verlassen. Zum Check in der Physiotherapie nach drei Wochen kam Barbara W. ganz entspannt, denn sie hatte keine Schmerzen mehr. Es zeigte sich ein positiver Verlauf, und Barbara W. konnte nun sämtliche Alltagsaktivitäten im normalen Umfang wiederaufnehmen. Auch konnte sie mit leichten Übungen für den Kraftaufbau beginnen. Nach weiteren drei Wochen kam sie zur Kontrolle zu Prof. Alfieri, danach war sie wieder in ihrem gewohnten Alltag zurück, ohne Schmerzen. Es blieb ein letzter Termin in der Physiotherapie, um den weiteren Kraftaufbau zu besprechen und ein paar kleinere Unsicherheiten im Bewegungsverhalten zu klären. Mehr Physiotherapie brauchte sie nicht, als Pilatestrainerin konnte sie die Übungen selbständig ausführen. In der Zwischenzeit hatte sie auch wieder zu arbeiten begonnen.
Training während der «Tagesschau»
Heute bereitet ihr die Bandscheibe keine Beschwerden mehr. Wobei sie weiterhin achtgibt. «Wenn ich den Rücken zu stark belaste, meldet mir das mein Körper schnell.» Sie ist sehr dankbar für die Behandlung am KSW. «Ich habe alles sehr positiv erlebt. Die Abläufe sind bestens organisiert, und ich war über jeden Schritt genau informiert.» Einzig auf lange Lauftrainings verzichtet sie und im Moment noch auf Volleyball. Fürs Jäten kniet sie sich hin, um den Rücken zu entlasten, zudem legt sie häufiger Pausen ein. Und zum Fernsehen setzt sie sich nicht mehr aufs Sofa. Vielmehr nutzt sie die Zeit, um während der «Tagesschau» ihre Rückenübungen zu machen.
Jeder Patient ist anders
Interview mit Prof. Dr. med. Alex Alfieri, Chefarzt Klinik für Neurochirurgie
Viele Personen haben Angst vor einer Bandscheibenoperation. Woher kommt das?
Vor rund 30 Jahren wurde damit begonnen, Bandscheibenvorfälle routinemässig mikrochirurgisch zu operieren. Damals waren die Methoden noch nicht so ausgereift wie heute und die Komplikationsrate höher. Dieses Bild hält sich bis heute, trotz der grossen Fortschritte in der Operationstechnik. Heute treten nur noch ganz selten Komplikationen auf, höchstens in 3% der Fälle und meist bei der Wundheilung.
Wann sollte ein Bandscheibenvorfall operiert werden?
Physio- und Schmerztherapie reichen meist, viele Diskushernien bilden sich mit der Zeit von selbst zurück. Eine Operation ist nur in Ausnahmefällen nötig. Den Zeitpunkt bestimmen die Patienten. Das ist dann der Fall, wenn für sie die Lebensqualität aufgrund der Schmerzen ungenügend ist. Zudem bei Notfällen, wenn es zu einer Blasenstörung oder einer Lähmung kommt.
Raten Sie manchmal auch von einer Operation ab?
Ja, das geschieht nicht selten. Und zwar dann, wenn zwar auf dem MRI ein grosser Bandscheibenvorfall zu erkennen ist, der Patient aber keine Beschwerden hat. Jeder Fall ist anders. Die Indikation zu einer chirurgischen Massnahme basiert nicht allein auf der Bildgebung, die sorgfältige Untersuchung und die erwartete Lebensqualität spielen eine entscheidende Rolle.
Bandscheibenoperation
Am häufigsten treten Bandscheibenschäden an der Lendenwirbelsäule auf. Hier kommt es im Alltag, bei körperlicher Arbeit und beim Sport zu den grössten Belastungen. Bei einer Bandscheibenoperation wird das in den Wirbelkanal ausgetretene Material entfernt. Die Eingriffe werden in der Klinik für Neurochirurgie meist mikrochirurgisch durchgeführt, über einen minimalinvasiven Zugang unter dem Mikroskop. Am KSW wird die Operation auch endoskopisch gemacht, sofern die verletzte Bandscheibe über die Seite erreicht werden kann. Bei dieser Schlüsselloch-Methode genügen kleine Schnitte, um Kamera, Lichtquelle und Instrumente einzuführen. In beiden Fällen dauert die Operation rund eine Stunde.
Angepasste Bewegung ist die beste Therapie
Interview mit Anita Graf, Co-Fachteamleiterin Rücken und komplexer Schmerz am Institut für Therapien und Rehabilitation
Bei Bandscheibenvorfällen ist Physiotherapie stets Teil der Therapie, unabhängig davon, ob eine Operation gemacht wird oder nicht. Warum?
Physiotherapeuten sind die Experten, wenn es um Bewegung geht. Bewegung bestimmt unseren Alltag. Dabei spielt der Rücken eine zentrale Rolle. Nicht nur beim Sport, sondern bei sämtlichen alltäglichen Aktivitäten wie Gehen, Sitzen, Einkaufen oder der Arbeit im Büro.
Was ist das Ziel der Physiotherapie?
Wir unterstützen die Patienten dabei, sich im Alltag wieder wie gewohnt verhalten zu können. Dabei richten sich die Ziele nach den individuellen Bedürfnissen und Anforderungen der Patientin oder des Patienten. Dazu zählen Kraftaufbau, Normalisierung des Bewegungsverhaltens, angepasste muskuläre Kontrolle, Abbau von Angst vor Bewegung oder Schmerzen, volle aktive Mobilität der Wirbelsäule oder Verbesserung der Ausdauerleistung.
Wodurch tritt die Verbesserung ein?
Mit praktischer Erfahrung, wenn Bewegung im Alltag wieder ohne Schmerzen erlebt werden kann. Durch die Anpassung der Muskelspannung an die jeweilige Situation werden Schmerzen positiv beeinflusst. So soll sich die Muskulatur in Pausen entspannen und bei hohen körperlichen Anforderungen adäquat anspannen. Zudem kann durch Kraftaufbau Bewegung ermöglicht und normalisiert werden.