Sicher schlafen und aufwachen
Jeder kennt es: Man stösst sich das Knie am Tisch, klemmt einen Finger in der Tür ein, rutscht im Winter auf dem Eis aus. Der Schmerz, der dabei entsteht, wirkt sich auf den ganzen Körper aus. Kaum vorstellbar, müsste man die Schmerzen während einer Operation ertragen. Dank der Anästhesie müssen wir das aber nicht, denn die Narkosemittel unterbrechen die Verbindung, über die Schmerzsignale ans Gehirn gesendet werden.
Nur deswegen sind wir heute imstande, operative Eingriffe durchzuführen, ohne dass die Patientinnen und Patienten dabei leiden müssen. Doch die Anästhesiologie befasst sich nicht nur mit der Ausschaltung des Schmerzempfindens während einer Operation, sondern mit Schmerzen generell. Bereits seit 50 Jahren gibt es das Institut für Anästhesiologie am KSW. Seit seiner Gründung hat sich vieles verändert.
Grössere Effizienz, kleineres Risiko
Interview mit Prof. Dr. med. Michael Ganter
Wie werden Patientinnen und Patienten in der Anästhesiologie behandelt?
«Wir versuchen, den Patientinnen und Patienten die Ängste zu nehmen, die sie haben.»
Jede Patientin und jeder Patient muss vor einer Operation zum Anästhesisten, wo sie oder er informiert und aufgeklärt wird. Dabei geht es nicht nur um individuelle Faktoren, welche die Narkose beeinflussen können, wie beispielsweise die Patientengeschichte, das Gewicht, das Alter oder Allergien. Wir führen eine Risikoeinschätzung durch, optimieren den Allgemeinzustand so weit wie möglich und versuchen, den Patientinnen und Patienten die Ängste zu nehmen, die sie haben.
Wir informieren die Patienten über alle Schritte, die wir vornehmen werden. Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, zu entscheiden, was sie möchten und was nicht. Dabei wird jeder als Individuum betrachtet, denn Narkose- und Schmerzmittel wirken bei jedem Menschen anders.
Was passiert während einer Vollnarkose?
Wenn eine Person in Vollnarkose versetzt wird, schläft sie innerhalb von ca. zehn Sekunden ein. Dabei versuchen wir immer, bei den Patienten eine positive Erinnerung zu bewirken, denn wie sie einschlafen, so wachen sie auch auf. Wir verabreichen immer nur so viel Narkosemittel, dass die Person bei einem Stopp der Zufuhr (im Normalfall über die Vene in der Hand) innert kurzer Zeit aufwacht, denn Patientinnen und Patienten sollen immer nur so lange in Narkose bleiben, wie es für die Operation nötig ist.
Eine Vollnarkose ähnelt einem künstlichen Koma. Dank der Überwachung der künstli- chen Beatmung und der Vitalfunktionen durch eine anästhesiologische Fachperson (Narkosearzt und/oder dipl. Anästhesiepflegende) können Patientinnen und Patienten in diesem Zustand gehalten werden.
Was macht die Anästhesie zu einem so wichtigen Fachgebiet?
Jeder Anästhesist und jede Anästhesistin hat das Leben der Patienten wortwörtlich in der Hand. Da ist es von grosser Wichtigkeit, dass bei jeder Operation eine anästhesiologische Fachperson vor Ort ist, welche die Vitalfunktionen und die Narkose kontrolliert. Ohne die Narkose könnte nicht operiert werden – deshalb ist die Anästhesiologie unentbehrlich für unser Gesundheitswesen.
Was hat sich in den letzten 50 Jahren verändert?
Die Anästhesie ist heute natürlich viel präziser und individueller. Vor 50 Jahren war sie noch nicht so sicher, das Personal war nicht so gut geschult, die Medikamente waren weniger gut steuerbar und es passierten mehr Fehler – es bestand also eine reale Gefahr, wegen der Narkose zu sterben.
Mit fast gleichen Ressourcen wie damals können wir heute viel mehr Patientinnen und Patienten betreuen; die Effizienz ist stark gestiegen. Es passieren kaum mehr Fehler, die Fachpersonen sind stark spezialisiert und sehr gut ausgebildet. Heute ist die Anästhesiologie in den Spitalalltag eingegliedert; wir stehen während der Arbeit nicht für einzelne Fachgebiete, wir sind ein eingespieltes OP-Team, in dem jede und jeder eine wichtige Rolle übernimmt.