Inkontinenz? Kein Grund zur Scham
Beckenboden-Beschwerden können alle treffen. Jüngere wie ältere Menschen, Frauen wie Männer. Und sie treten immer häufiger auf. Um den steigenden Bedarf nach entsprechenden Behandlungen bestmöglich decken zu können, hat das KSW ein interdisziplinäres Beckenbodenzentrum (BBZ) aufgebaut. Darin arbeiten Fachleute aus den unterschiedlichsten Bereichen von Medizin und Therapie eng zusammen, um die Patient:innen ganzheitlich behandeln und ihre Lebensqualität verbessern zu können.
«In der Schweiz sind rund 400’000 Menschen von Urininkontinenz betroffen, Frauen häufiger als Männer.»
Bislang dachten wohl viele, dass Beckenboden-Beschwerden eine Frauengeschichte seien. Doch weit gefehlt. Männer sind ebenso davon betroffen; zum Beispiel nach einer Erkrankung der Prostata oder einer Operation im Bereich des Beckens. Bei Frauen hingegen treten solche Beschwerden oftmals nach einer Schwangerschaft, nach der Geburt eines Kindes, in den Wechseljahren oder schlicht im Laufe des Älterwerdens auf. Wegen der demographischen Entwicklung werden Beckenboden-Erkrankungen immer häufiger. Die Bevölkerung wächst stetig und wird zudem älter und älter. Gleichzeitig nehmen Mehrfacherkrankungen zu. Hinzu kommt, dass viele ältere Menschen heute höhere Ansprüche an ihre Lebensqualität stellen. Sie möchten bis ins hohe Alter einen aktiven Lebensstil pflegen. Einen unkontrollierbaren Urinverlust oder Schmerzen im Becken wollen sie deshalb nicht einfach hinnehmen.
Ganzheitliche Behandlung
Um die zusätzlichen Patientinnen und Patienten optimal betreuen zu können, hat das KSW das interdisziplinäre Beckenbodenzentrum für Frau und Mann gegründet. «Zentrum», weil nicht nur eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten betreut, sondern ein Gremium von Fachpersonen. «Interdisziplinär », da diese Fachpersonen nicht nur aus einem medizinischen Bereich, zum Beispiel der Gynäkologie oder der Urologie, stammen und im Gremium neben Ärzt:innen auch Therapeut:innen und Pflegefachkräfte ihre Expertise einbringen. «Für eine optimale Behandlung ist es wichtig, Beckenbodenprobleme nicht nur aus Sicht eines einzigen Fachbereichs zu beleuchten», bestätigt Dr. med. Jure Tornic, Co-Leiter des BBZ. «Deshalb betrachten wir alle Beschwerden ganzheitlich mit dem Wissen und der Erfahrung aller Disziplinen.»
Vielfältige Beschwerden
Beckenboden-Beschwerden reichen von Inkontinenz (unkontrollierbarer Harn- oder Stuhldrang) und Entleerungsstörungen über Senkungsbeschwerden bis zu Schmerzen im Becken. Verursacht werden können sie sowohl von der Blase oder vom Darm als auch von den Geschlechtsorganen. Der Beckenboden besteht aus einer Muskel- und Bindegewebeschicht. Er stützt die Blase, den Darm sowie die Gebärmutter / die Prostata und steuert Harnblase, Harnröhre und Darmausgang. Durch starke Belastung beim Sport oder bei der Arbeit oder wenn die Muskeln, das Bindegewebe und die Gefässe im Alter naturgemäss schwächer werden, kann sich der Beckenboden senken. Eine Krankheit, ein Unfall oder eine psychische Belastung können ihrerseits das Nervensystem schädigen. Das führt dazu, dass der Beckenboden seine Aufgaben nicht mehr richtig erfüllen kann.
«Heute gibt es effektive Therapien, um Probleme im Beckenboden zu beheben oder Beschwerden zu verringern.»
Darüber sprechen hilft
Probleme mit dem Beckenboden sind für die Betroffenen ein heikles Thema. Oftmals schämen sie sich dafür und isolieren sich zunehmend. Umso wichtiger ist es, dass die Patient:innen offen über ihre Inkontinenz oder andere Probleme sprechen. Das Beckenbodenzentrum bietet dazu einen vertraulichen Rahmen. Am Anfang klären unsere Fachleute die Krankheitsgeschichte gründlich ab (Anamnese) und untersuchen die Person eingehend. «Häufig zeigt sich in solchen Gesprächen, dass eine Patientin oder ein Patient nicht nur unter einem Problem leidet, sondern unter mehreren gleichzeitig», schildert Dr. med. Peter Kleimann, der zweite Co-Leiter des BBZ, seine Erfahrung.
Konservativ vor operativ
«Heute gibt es viele effektive Therapien, um Probleme im Beckenboden zu beheben oder zumindest die Beschwerden deutlich zu verringern», ergänzt Dr. Kleimann. Den Anfang machen zumeist konservative Therapien, die den Körper weniger belasten. Oft lässt sich bereits durch eine Verhaltens- und Physiotherapie sowie Medikamente eine zufriedenstellende Lösung erreichen. Für den Fall, dass solche Therapien nicht wie erhofft wirken, bietet das KSW ein breites Spektrum an Operationen an. Ob ein chirurgischer Eingriff durchgeführt werden soll, entscheidet jedoch stets die Patientin oder der Patient.