Beckenbodenzentrum
«Männer sind ebenso betroffen»
Beckenbodenbeschwerden wurden bislang vor allem Frauen zugeschrieben. Wieso braucht es ein gemeinsames Zentrum für Männer und Frauen?
Die meisten Menschen denken wohl an Frauen, wenn sie von Beckenbodenbeschwerden hören. Männer sind jedoch ebenso betroffen; zum Beispiel durch Prostata- oder Blasenbeschwerden sowie Beckenschmerzen. Gemeinsam ist beiden Geschlechtern, dass die entsprechenden Probleme tabuisiert werden. Patient:innen leiden oftmals an Inkontinenz oder Schmerzen und isolieren sich aus Scham sozial. Deshalb ergibt eine ganzheitliche Sicht, wie wir sie am Beckenbodenzentrum pflegen, sehr viel Sinn.
Wie profitieren die Patientinnen und Patienten vom Beckenbodenzentrum?
Ein grosser Vorteil des Zentrums ist, dass hier Spezialistinnen und Spezialisten aus den unterschiedlichsten Bereichen eng zusammenarbeiten – dazu gehören Gynäkologie und Urologie, Viszeralchirurgie, Gastroenterologie und Neurologie, das Schmerzzentrum sowie die Physio- und die Urotherapie. Das ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung. Das heisst, wir schauen jeden Fall von allen Seiten an. Nur so werden wir den komplexen Problemen der Patient:innen gerecht.
Was heisst das konkret?
Generell versuchen wir stets, das Problem der Patientin/des Patienten zu lösen. Vordergründig ist zum Beispiel Inkontinenz. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass sie oder er sich sozial isoliert. Dann geht es nicht in erster Linie darum, die Inkontinenz zu heilen, sondern sie so weit in den Griff zu bekommen, dass er oder sie wieder ein annähernd normales Leben führen kann. Dabei arbeiten wir auch eng mit den niedergelassenen Frauen- und Hausärzt:innen sowie Urolog:innen zusammen. Sie kennen ihre Patientin oder ihren Patienten meist am besten und können bereits viele Probleme ansprechen. Gerade bei komplexen Problemen ist es sehr wichtig, dass man sie nicht nur aus einer Perspektive betrachtet. Deshalb besprechen wir solche Fälle gemeinsam im Rahmen des Beckenboden-Boards.
«Wir schauen jeden Fall von allen Seiten an. Nur so werden wir den komplexen Problemen der Patient:innen gerecht.»
Wie stark schränken solche Beschwerden das tägliche Leben ein?
Die teilweise starken Schmerzen und die Scham, inkontinent zu sein, schränken viele Patient:innen sehr stark ein. Die Beschwerden können bei Mann und Frau mannigfaltig sein. Dazu gehören neben Schmerzen zum Beispiel Probleme, die Blase und/oder den Darm zu kontrollieren, sowie Druck- und Fremdkörpergefühle. Das kann die Intimität und die Partnerschaft belasten und dazu führen, dass die Betroffenen sich aus dem Sozialleben zurückziehen.
Welche Beckenbodenbeschwerden treten am häufigsten auf?
Bei den Frauen sind es vor allem sogenannte Senkungsbeschwerden, die sich durch ein Druckgefühl und eine Blasenschwäche bemerkbar machen. Solche Beschwerden treten häufig im Zusammenhang mit einer Geburt, einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren auf. Das ist beinahe ein Volksleiden; fast jede fünfte Frau ist im Laufe ihres Lebens davon betroffen. Urininkontinenz, Beschwerden wegen einer Reizblase sowie wiederkehrende Blasenentzündungen treten sogar bei jeder dritten Frau auf.
Wie sieht es bei den Männern aus?
Insgesamt sind wohl Probleme, die Harnblase zu entleeren, und Drangbeschwerden (sog. Reizblase) am häufigsten; die Betroffenen verspüren einen starken Harndrang. Sie müssen sehr oft zur Toilette und ihr Harnstrahl ist zudem oft schwach. Häufig sind zudem Schmerzen oder eine Belastungsinkontinenz. Die tritt vor allem bei Männern auf, die eine Prostatakrebs-Operation hinter sich haben. Je älter, desto häufiger. Bei jungen Männern sind es dagegen mehrheitlich Schmerz- und Drangprobleme.
Lassen sich Beckenbodenbeschwerden heilen?
Das lässt sich nicht so einfach mit Ja beantworten. Sicher ist, dass viele Beschwerden nicht von heute auf morgen aus der Welt geschafft werden können. Der Weg zur Besserung ist bei chronischen Problemen häufig lang. Er ist mit Hochs und Tiefs verbunden. Deswegen sollte man sich jedoch nicht entmutigen lassen. Wichtig ist, dass sich die Patientinnen und Patienten ernst genommen und gut betreut fühlen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, unrealistische Erwartungen zu entkräften. Dazu gehört, klarzustellen, dass nicht jedes Problem endgültig gelöst werden kann. Dank sehr guten medizinischen und operativen Therapien sind jedoch die meisten Patient:innen nach der Behandlung wieder kontinent und komplett zufrieden.
Lässt sich Beckenbodenbeschwerden vorbeugen?
Eine generelle Empfehlung ist schwierig. Wie bei vielen anderen Erkrankungen spielen die Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, der Umgang mit Alkohol und Tabak sowie das Gewicht eine Rolle. Ein gewisses Risiko besteht – genetisch bedingt – jedoch immer. Wichtig ist auf alle Fälle, nicht zuzuwarten, wenn man Beschwerden hat. Häufig stehen sie am Anfang einer Erkrankung.
Beckenboden-Board: Geballte Expertise für grössere Erfolge
Am Beckenboden-Board werden die schwierigen Fälle besprochen. Dafür tun sich Spezialist:innen aus den Bereichen Frauenklinik (weibliche Beckenorgane), Urologie (Harntrakt bei Frauen und Männern), Gastroenterologie (Magen und Darm), Viszeralchirurgie (Bauch), Neurologie (Nerven), Radiologie (Röntgen), Physio- und Urotherapie (Blase) sowie aus dem Schmerzzentrum zusammen. Diese geballte, umfassende Expertise nutzen wir im Beckenbodenzentrum einerseits bei komplexen, vielschichtigen Erkrankungen. Gerade ältere Frauen leiden häufig an mehreren Beschwerden gleichzeitig, die verschiedene Organe betreffen können. Anderseits tritt das Board zusammen, wenn sich Symptome nicht eindeutig einem Krankheitsbild zuordnen lassen oder wenn es in komplexen Fällen um die Frage geht, welche Therapie einer Patientin oder einem Patienten am besten hilft.
Komplexe Fälle gemeinsam beurteilen
Solche «Boards» (Rat, Ausschuss) sind in Spitälern heute weit verbreitet. Ganz einfach, weil die interdisziplinäre Fallbesprechung (mehrere medizinische Disziplinen diskutieren zusammen einen Fall) erwiesenermassen bei Krebs und bei der Schmerzbekämpfung die besten Behandlungsergebnisse erzielt. Am KSW treffen sich die Fachleute einmal im Monat oder bei Bedarf zu den Board-Besprechungen. Dazu werden alle Informationen zusammengetragen, die über eine Patientin oder einen Patienten vorliegen. Auf dieser Grundlage besprechen die Spezialistinnen und Spezialisten, ob weitere diagnostische Abklärungen nötig sind und welche Therapien die besten Erfolgschancen bieten. Der Austausch zwischen den Fachleuten macht es möglich, ein disziplinenübergreifendes Therapiekonzept zu erstellen und eine Patientin oder einen Patienten optimal zu betreuen.