Wenn der Appetit aufs Leben verloren geht
Livia erzählt
Wie hast du den stationären Aufenthalt erlebt?
Die intensive psychologische Unterstützung rund um die Uhr war einer der Hauptgründe für meine Genesung. Aus seinem gewohnten Umfeld weg zu sein und sich primär auf sich zu konzentrieren, war Fluch und Segen zugleich – ist aber ebenfalls eine unterstützende und wichtige Massnahme beim Umgang mit einer Essstörung. Zudem haben mir die Aktivitäten viel gebracht. Der Ausgang am Wochenende war immer ein Motivator, um möglichst alle Wochenziele zu erreichen. Meine Familie, die mich regelmässig besuchte, und Freunde, die mir Karten schickten, konnten mir in dieser Zeit sehr helfen.
Ist es dir nach dem Aufenthalt besser gegangen?
Definitiv. Ich bin bis heute der Überzeugung, dass ich es ohne diese intensive Unterstützung nicht geschafft hätte. Zudem wende ich einige Tools (therapeutische Hilfsmittel), die ich bei meinem Aufenthalt gelernt habe, bis heute im Alltag an. Gar nicht unbedingt aufs Essen bezogen, sondern vielmehr um Verständnis für andere Personen zu entwickeln und beim Umgang mit schwierigen Alltagssituationen.
Was ist dir während des Aufenthalts besonders schwergefallen oder was hast du als besonders schwierig erlebt?
Die räumliche Distanz zu Familie und Freunden. Sich nach fünf Monaten im SPZ wieder an die «normale» Welt zu gewöhnen, war aber auch nicht leicht. Zudem habe ich mich manchmal sehr eingeschränkt gefühlt, was aber zum Teil auch krankheitsbedingt war. Während des Aufenthalts hat man manchmal das Gefühl, das Leben draussen zu verpassen. Natürlich schwingt auch immer eine gewisse Angst mit, dass man nicht gesund wird.
«Ich bin bis heute der Überzeugung, dass ich es ohne diese intensive Unterstützung nicht geschafft hätte.»
Wie hast du den Kontakt zu den Mitpatientinnen und Mitpatienten erlebt?
Mich hat es beschäftigt, dass jüngere Menschen als ich bereits mit grossen Problemen konfrontiert sind und sich einem stationären Aufenthalt unterziehen müssen. Trotzdem war der Klinikalltag oft lustig und schön. Man stellt sich das Miteinander zuvor traurig und schwierig vor, was aber nicht sein muss. Mit einigen Mitpatientinnen und Mitpatienten stehe ich bis heute in Kontakt.
Was würdest du hinsichtlich eines stationären Aufenthalts anderen Betroffenen raten?
Das A und O bei mir war, dass ich mich in jeder Beziehung geöffnet habe. Das Betreuungsteam will dich unterstützen, und damit dies gelingen kann, sind Ehrlichkeit und Offenheit ausschlaggebend. Um vom Aufenthalt zu profitieren, muss man seine Ängste, Zweifel und Gedanken auf den Tisch legen. Das ist hart, aber sehr lohnenswert! Zudem hat mir der Aufenthalt geholfen, meine Ziele und Wünsche für die Zeit nach dem Aufenthalt in einem Tagebuch festzuhalten. Die Welt ausserhalb der Klinik ist so bunt und schön, da lohnt es sich immer, Zeit und Energie in die eigene mentale und körperliche Gesundheit zu investieren.
Gut zu wissen
- Die Behandlung von Magersucht sollte schnell erfolgen. Eine frühe Behandlung verspricht eine gute Prognose.
- Auch bei Normalgewicht kann man an einer Essstörung leiden
- Das Thema Magersucht sollte offen angesprochen und das Krankheitsbild nicht tabuisiert werden.