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Medizinische Poliklinik und Infektiologie

Der Infektiologe und das Virus

Seit Anfang 2020 hat es unser Leben fest im Griff: das Covid-19-Virus. Und wo es um Corona geht, da ist im KSW PD Dr. med. Urs Karrer nicht weit – denn der Chefarzt der Medizinischen Poliklinik und Infektiologie ist unser Covid-Experte. Wie Urs Karrer das Jahr 2020 erlebt hat, was er vermisst und was er sich für die Zukunft wünscht, erzählt er im Interview.

Hatten Sie Angst, als die Pandemie die Schweiz erreichte?

Nein, ich habe aber grossen Respekt vor dieser Pandemie und ihren Auswirkungen. Obwohl wir uns seit Januar mit der Thematik befasst hatten, wussten auch wir Infektiologen zunächst nicht, wie ansteckend und gefährlich dieses neue Virus tatsächlich ist. Die Bilder aus China mit Pflegepersonal in Raumanzügen waren schon besorgniserregend; auch in China war medizinisches Schutzmaterial damals knapp. Im engen Austausch mit meinem Team und Fachpersonen aus anderen Spitälern haben wir dann unsere Schutzmassnahmen festgelegt und immer wieder an die neusten Erkenntnisse angepasst.

Insgesamt waren wir im KSW recht gut vorbereitet, dennoch war es ein riesiger Kraftakt an verschiedensten Fronten, um sich auf eine mögliche COVID-19-Patienten-Flut vorzubereiten. Ich hatte auch nie schlaflose Nächte aus Furcht, dass wir Patienten/-innen oder Mitarbeitende einer Gefahr aussetzen würden, was letztendlich das Wichtigste ist. Privat hatte ich eher Bedenken, denn meine Mutter ist 86 Jahre alt. Sie habe ich dann längere Zeit nicht mehr gesehen, was mich natürlich
schon beschäftigt hat.

«Ich wünsche mir ein wenig mehr Bewusstsein dafür, welche Verantwortung jede und jeder Einzelne von uns trägt.»

Fahren Sie mit den ÖV oder dem Auto? Hat sich das seit dem Einsetzen der Pandemie geändert?

Nein, ich benutze seit je ÖV und Velo. Ich trage jedoch seit dem Frühling immer eine Maske in den ÖV, also lange bevor es eine Pflicht gab. Ausserdem desinfiziere ich meine Hände inzwischen auch ausserhalb des KSW etwas öfter. Im Lockdown hatte ich zeitweise praktisch einen Privatwaggon, mittlerweile fahren ja wieder viele mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Glück inzwischen zu mehr als 95% mit Maske.

Wie reagieren Sie auf Maskenverweigernde?

Wenn im ÖV Personen in meiner unmittelbaren Nähe keine Maske tragen oder sie falsch benutzen, weise ich sie höflich darauf hin. Eine Maske zu tragen ist in der aktuellen Situation absolut zumutbar und aus meiner Sicht keine gravierende Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Sie scheinen mit einer bemerkenswerten Ruhe und Gelassenheit an die Sache heranzugehen. Was ist Ihre Strategie?

Ich kann mich durchaus über gewisse Dinge, die sich nicht so entwickeln, wie ich mir das vorstelle, ziemlich aufregen. Anfang Oktober hatte ich eine Phase, in der ich mich über die Untätigkeit gewisser Politiker und Institutionen masslos ärgerte. Aber meistens gewinnt das Rationale und Analytische relativ rasch die Oberhand. Manchmal braucht es jedoch eine Prise Sarkasmus, bevor das Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Neben etlichen Jahresringen hilft es mir enorm, dass ich sowohl hier im KSW mit meinem Team als auch zu Hause mit meiner Frau über die Themen sprechen kann, die mich beschäftigen. Dadurch kann ich meine Einschätzungen rasch einem kritischen Realitätscheck unterziehen.

«Abstand, Masken, Händehygiene und sofortiges Testen bei Symptomen – und zwar in dieser Reihenfolge.»

Was ist Ihre bevorzugte Art der Begrüssung?

Seit dem Lockdown: ein Namaste. Es fällt mir allerdings immer noch schwer, auf das Händeschütteln zu verzichten, insbesondere bei der Begrüssung von Patientinnen und Patienten, die ich zum ersten Mal sehe. Mit dem Händedruck konnte ich ihnen früher «versprechen», dass ich mich nach bestem Wissen und Gewissen um sie kümmern werde, und ihr Händedruck war für mich das stillschweigende Akzeptieren dieses Angebots. Das war fast schon ein Vertrag.

Was vermissen Sie seit Corona?

Mit Abstand und Maske ist alles anonymer und distanzierter: Wir sehen keine Gesichter mehr, keine Mimik. Jeder verschwindet hinter der Maske. Covid-19 ist wirklich ein asoziales Virus, das uns voneinander entfremdet. Zudem vermiest uns das Virus die zwischenmenschliche Nähe, die Herzlichkeit, die Unbeschwertheit. Wo wir uns früher kaum Gedanken gemacht haben, wird heute jeder, der uns nahe kommt, als potenziell gefährlich wahrgenommen. Der unbeschwerte Kontakt zu Freunden, spontane Begegnungen oder auch mal im Getümmel unterwegs zu sein: Diese Freiheiten müssen wir vorübergehend aufgeben, um uns und unsere Liebsten zu schützen.

Was wünschen Sie sich von der Bevölkerung?

Solidarität, Disziplin und Durchhaltewillen! Es gibt viele Menschen, die es bereits super machen – es gibt aber immer noch zu viele, die das Virus und die Massnahmen nicht ernst genug nehmen. Ich wünsche mir ein wenig mehr Bewusstsein dafür, welche Verantwortung jede und jeder Einzelne von uns trägt:

  • Was löst mein Handeln aus?
  • Wie gross ist das Risiko, mich selbst und andere anzustecken?
  • Wie kann ich dieses Risiko reduzieren?

Eigentlich brauchen wir nur vier Dinge, um das Virus in Schach zu halten: Abstand, Masken, Händehygiene und sofortiges Testen bei Symptomen – und zwar in dieser Reihenfolge. Und zum Abstand gehört natürlich auch, Kontakte ganz zu vermeiden oder in den virtuellen Raum zu verlegen. Das ist virologisch gesehen der optimale Abstand. Diese vier Massnahmen müssen wir äusserst diszipliniert über Monate durchziehen. Dann sehe ich eine Chance, die Fallzahlen auch ohne erneuten Lockdown zu drücken, um vernünftig durch den Winter zu kommen.


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Medizinische Poliklinik und Infektiologie
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