Die menschlichen «Rohre»
Würde man alle Blutgefässe eines Menschen aneinanderreihen, so ergäbe dies eine Gesamtlänge von etwa 100 000 Kilometern – was ungefähr dem 2,5-fachen des Erdumfangs entspricht. Kein Wunder, ist die Gefässchirurgie ein so breit gefächertes Spezialgebiet – es umfasst hauptsächlich die Arbeit an Venen (die zum Herzen führen) und Arterien (die vom Herzen wegführen).
Kurz gesagt: Die Gefässchirurgie kümmert sich um die Sanierung der Rohre im menschlichen Körper. Oft sind Beschwerden der Gefässe eng mit anderen Krankheiten verbunden oder fallen in die Zuständigkeit anderer Fachdisziplinen.
Daher gibt es am Kantonsspital Winterthur ein Gefässzentrum, das die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche ermöglicht: Hier sind unter anderem die Angiologie (befasst sich mit Erkrankungen der Blutgefässe), die Radiologie (Strahlenheilkunde) und die Gefässchirurgie (Chirurgie der Blutgefässe) durch Spezialistinnen und Spezialisten vertreten.
Im Gefässzentrum werden Patientinnen und Patienten gesamtheitlich untersucht und optimal behandelt – aus einer Hand. Seit dem Jahr 2020 ist das Gefässzentrum des Kantonsspitals Winterthur von der USGG (Union Schweizerischer Gesellschaften für Gefässkrankheiten) zertifiziert.
Das tückische Aneurysma
Ein Klassiker in der Gefässchirurgie: das Aneurysma. So nennt man die Erweiterung eines Blutgefässes um mindestens 50 Prozent. Aneurysmen treten hauptsächlich in Arterien auf. Kurz erklärt: Die geschwächte Gefässwand dehnt sich immer weiter aus, und der Durchmesser des Blutgefässes nimmt zu. Wie bei einem Ballon, den man aufbläst, wird die Wand mit zunehmendem Wachstum immer dünner, und das Risiko des Platzens steigt.
«Wird ein Aneurysma früh genug erkannt, kann es gezielt behandelt werden.»
Ein Aneurysma entwickelt sich meist über Jahre und lässt sich nur selten anhand von Symptomen erkennen – es verursacht keine Schmerzen, ist aber durchaus gefährlich –, was es so tückisch macht. Oft wird ein Aneurysma nur entdeckt, wenn wegen anderer Beschwerden oder Krankheiten eine Untersuchung vorgenommen wird: also per Zufall.
«Wird ein Aneurysma früh genug erkannt, kann es gezielt behandelt werden. Im Allgemeinen wird beispielsweise die Bauchschlagader operativ behandelt, wenn sie sich bei Männern auf 5,5 cm oder bei Frauen auf 5 cm erweitert hat. Natürlich gibt es weitere Faktoren, welche die Operationsindikation definieren. Bei der Operation wird der ausgeweitete Teil der Bauchschlagader durch eine Kunststoffprothese ersetzt oder endovaskulär mit einem Stentgraft geschient», sagt PD Dr. med. Thomas Wyss, Chefarzt der Gefässchirurgie am KSW.
«Ein Aneurysma kann sehr gut behandelt werden. Das Tückische ist, dass es sich bis zum Platzen selten bemerkbar macht. Dann aber wird es schlagartig lebensgefährlich, und innert kurzer Zeit kann der Tod eintreten», erklärt PD Dr. Wyss weiter.
Erkennt man ein Aneurysma also nicht, kann das Blutgefäss platzen. Aber auch in dieser Notfallsituation kann man noch operieren. Ein erhöhtes Risiko für ein Aneurysma haben vor allem ältere Raucher. PD Dr. med. Thomas Wyss rät deshalb dazu, dass sich Männer ab 65 Jahren auf die Grösse ihrer Blutgefässe und speziell der Bauchaorta untersuchen lassen.
Zwei Fragen an PD Dr. med. Thomas Wyss
Der neue Chefarzt der Gefässchirurgie hat im Februar 2020 seine Stelle am KSW angetreten und damit Dr. med. Pius Wigger abgelöst, der 25 Jahre lang am KSW tätig war. Grosse Fussstapfen, in die er da tritt – doch Thomas Wyss hat am KSW noch einiges vor.
Interview mit PD Dr. med. Thomas Wyss, Chefarzt Gefässchirurgie, Klinik für Interventionelle Radiologie und Gefässchirurgie
Warum haben Sie sich für die Spezialisierung auf die Gefässchirurgie entschieden?
Es gibt viele chirurgische Spezialgebiete. Dennoch war ich mir relativ schnell sicher – denn die Gefässchirurgie vereint vieles. Die abwechslungsreiche Arbeit hat mich überzeugt: In der Gefässchirurgie gibt es grosse und kleine Eingriffe, es gibt ambulante und stationäre Behandlungen, einfache und anspruchsvolle Operationen und sowohl ungefährliche als auch lebensbedrohliche Situationen.
Und ich mag das Handwerkliche – das habe ich in der Chirurgie. Dank dieser täglichen Abwechslung übe ich meinen Beruf bis heute mit Leidenschaft aus: Es wird nie langweilig, und ich bin jeden Tag aufs Neue gefordert.
Was hat Sie ans KSW geführt?
Ich bin vom Universitätsspital (Inselspital) in Bern ans KSW gekommen, um eine neue Herausforderung anzunehmen, und habe mich sehr gefreut, die Funktion als Chefarzt von Dr. med. Pius Wigger zu übernehmen, welcher pensioniert wurde.
Das breite Spektrum, die modernen technischen Mittel und die Entwicklungsmöglichkeiten: All das hat mich überzeugt, ans KSW zu wechseln und meine Arbeit hier fortzuführen. Ich möchte gemeinsam mit der Gefässchirurgie am KSW weiter wachsen – und dabei unter anderem die endovaskuläre Aortenchirurgie ausbauen.