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Die stille Pandemie

Die stille Pandemie

Aus der modernen Medizin sind sie nicht mehr wegzudenken. Die Antibiotika. Dank ihnen können infektiöse Komplikationen wirksam behandelt werden. Sie retten Leben, ermöglichen komplexe chirurgische Eingriffe und Tumorbehandlungen. Doch leider werden immer mehr Bakterien gegen Antibiotika resistent. Um Resistenzen zu bekämpfen, arbeiten am KSW die Infektiologie, das Mikrobiologielabor und die Spitalhygiene eng zusammen.

Seit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 haben Antibiotika das Leben vieler Menschen stark verbessert. Krankheiten, die früher oft tödlich verliefen, können heute dank Antibiotika meist geheilt werden. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Immer mehr Bakterien werden gegen Antibiotika resistent. Das ist ein weltweites Phänomen. Deshalb spricht man auch von einer «stillen Pandemie». Besonders davon betroffen sind Entwicklungsländer. Doch leider gibt es in der Schweiz nach wie vor Medizinerinnen und Mediziner, die wirksame Antibiotika als selbstverständlich betrachten. Das ist gefährlich.

Unkritische Verschreibung

Eine wichtige Ursache für Resistenzen ist die unkritische Verschreibung von Antibiotika; zum Beispiel bei einer Bronchitis, obwohl nur fünf Prozent der Fälle auf Bakterien zurückzuführen sind. Es ist ein Teufelskreis. Je mehr Antibiotika wir einsetzen, desto wahrscheinlicher werden Resistenzen. Die moderne Medizin kann auf Antibiotika nicht verzichten, gleichzeitig lassen sich Resistenzen nie vollständig vermeiden. Dennoch haben wir nach wie vor die Möglichkeit, Resistenzen auf ein erträgliches Mass zu reduzieren. Es liegt an uns, jetzt zu handeln.

Massnahmen gegen Resistenzen

Jede verhinderte Infektion hilft, Antibiotika einzusparen. Das gelingt allerdings nur mit einer sorgfältigen Infektionsprävention. Entscheidend ist dabei, Antibiotika möglichst klug einzusetzen: so viel wie nötig und gleichzeitig so wenig, so gezielt und so kurz wie möglich. Denn der übermässige Antibiotikaeinsatz von heute verringert zwangsläufig die Behandlungsoptionen für alle zukünftigen Patientinnen und Patienten. Um im Spital zu verhindern, dass Erreger übertragen werden, müssen zudem die Hygienemassnahmen eingehalten werden. Die im KSW verwendeten Händedesinfektionsmittel helfen glücklicherweise gegen antibiotikaresistente Erreger sehr effektiv.

Antibiotikaresistenzen

Entdeckt wurden Antibiotika in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Antibiotikaresistente Bakterien hingegen existieren schon viel länger. Studien zufolge seit mindestens vier Millionen Jahren. Bakterien nutzen seit jeher antibiotikaähnliche Substanzen, um sich gegen andere Bakterien in ihrer Umgebung zu behaupten. Selber müssen sie natürlich resistent sein gegen diese Stoffe. Bakterien sind sozusagen Experten in biologischer Kriegsführung und Anpassung. Sie können sich alle 20-30 Minuten durch Teilung verdoppeln und durch zufällige Mutationen verändern. Werden Antibiotika eingesetzt, setzen sich jene Bakterienmutanten durch, die weniger empfindlich auf das Antibiotikum reagieren. Jeder Einsatz von Antibiotika führt also zur Selektion immer resistenterer Bakterien. Oft «horten» Bakterien mehrere Gene, die sie gegen verschiedene Antibiotika resistent machen. So breiten sich multiresistente Bakterien aus – im behandelten Menschen, in Kläranlagen und durch unsere Reisefreudigkeit weltweit. Mittlerweile gibt es Bakterien, die gegen alle zugelassenen Antibiotika resistent (= panresistent) sind.

Was unsere Expertinnen und Experten dazu sagen

Um Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen, arbeiten am KSW die Infektiologie, das Mikrobiologielabor und die Spitalhygiene eng zusammen. Nicole Bürgin (Biomedizinische Analytikerin), Corinne Furrer (Fachexpertin Infektionsprävention) und Adrian Schmid (Leiter Spitalhygiene) nehmen Stellung.

Wie beeinflussen antibiotikaresistente Erreger den Arbeitsalltag im Spital?

Nicole Bürgin: Sie bedeuten für uns einen erhöhten Arbeitsaufwand. Wir müssen häufiger auf Resistenzen testen, die Diagnostikverfahren werden immer komplexer und die Hygienevorgaben strenger.

Corinne Furrer: Patientinnen und Patienten, die multiresistente Erreger tragen, müssen isoliert werden, um zu verhindern, dass sie ihre Krankheit auf andere übertragen. Wir müssen daher häufiger Isolationen verordnen und haben die Schulung unserer Arbeitskolleginnen und -kollegen intensiviert.

Adrian Schmid: Immer häufiger müssen wir entscheiden, welche Antibiotika bei Infektionen mit resistenten Bakterien noch wirksam sind. Zudem gilt es zu verhindern, dass es zu Übertragungen im Spital kommt.

Macht dir die Resistenzentwicklung Sorgen? Falls ja, weshalb?

Nicole Bürgin: Ja. Die Krankheitsverläufe werden immer länger, die Sterblichkeit und die Gesundheitskosten steigen. Ohne wirksame Antibiotika stehen uns weniger Behandlungsmöglichkeiten zur Auswahl; das kann letztlich die öffentliche Gesundheit gefährden.

Corinne Furrer: Ja, denn die Anzahl hochresistenter Erreger nimmt zu. So hatten wir zum Beispiel innerhalb der letzten Monate gleich mehrere Patientinnen und Patienten im KSW, bei denen wir nahezu panresistente Bakterien nachweisen konnten und bei denen alle gängigen Antibiotika versagen. Wir sehen das viel häufiger als noch vor wenigen Jahren.

Adrian Schmid: Uns macht die Entwicklung Sorge, da das Problem weltweit deutlich zunimmt. Studien zufolge sind Antibiotikaresistenzen bereits die 13. häufigste Todesursache weltweit. Am KSW sehen wir vermehrt Patientinnen und Patienten, die nach kürzlicher Hospitalisation im Ausland hochresistente Bakterien nach Hause bringen. Allfällige Infektionen mit solchen Bakterien könnten wir nicht mehr wirksam behandeln.

Was würdest du dir wünschen, um diese Entwicklung zu stoppen?

Nicole Bürgin: Wir wünschen uns einen verantwortungsvolleren Einsatz von Antibiotika sowie verstärkte Investitionen in Forschung und alternative Therapien; in der Human- wie in der Tiermedizin. Anderseits ist es wichtig, über den richtigen Umgang mit Antibiotika aufzuklären und Resistenzen besser zu überwachen.

Corinne Furrer: Dass die Menschheit eine andere Therapieform als Antibiotika (er)findet.

Adrian Schmid: Wir wünschen uns ein grösseres Bewusstsein hinsichtlich des Problems und entsprechendes Handeln. Antibiotika sollten nur eingesetzt werden, wenn sie wirklich notwendig sind.

Portrait von Nicole Bürgin

Nicole Bürgin

Ausbildungsverantwortliche BMA
Institut für Labormedizin

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Portrait von Corinne Furrer

Corinne Furrer

Fachexpertin Infektionsprävention
Medizinische Poliklinik und Infektiologie

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Portrait von Dr. med. Adrian Schmid

Dr. med. Adrian Schmid

Oberarzt Infektiologie
Infektiologie/Spitalhygiene
Leiter Spitalhygiene

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Analysen sind unsere Spezialität – von Routineanalysen bis zu komplexen Untersuchungen führen wir verschiedene Tests durch. Unsere Kompetenz stellen wir dem KSW und Institutionen zur Verfügung.
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In der Medizinischen Poliklinik und Infektiologie befassen wir uns mit der ambulanten Diagnostik und Therapie von inneren Krankheiten.
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