Eine weibliche natürliche Brust nach Brustkrebs
«Die Diagnose Brustkrebs war unerwartet. Viviane S. hatte volles Vertrauen in das Team der Plastischen Chirurgie. Sie hat sich nach der Diagnose Brustkrebs für den Wiederaufbau mit Eigengewebe entschieden.»
Viviane S. war gerade 50 geworden, als ihr ihre Frauenärztin eine Mammographie empfahl. Sie ergab den Verdacht auf Brustkrebs, der anschliessend durch eine Biopsie bestätigt wurde. Die Diagnose war unerwartet, doch schockiert war Frau S. deswegen nicht. «Als mir die Frauenärztin das Resultat der Gewebeuntersuchung mitteilte, war sie nervöser als ich», erinnert sie sich. Sie wurde für weitere Abklärungen ans KSW überwiesen, und im MRI zeigte sich, dass der Tumor grösser war als zuerst angenommen. In einem solchen Fall ist eine vollständige Entfernung der Brust, eine sogenannte Mastektomie, die Therapie mit den besten Heilungschancen.
Lange hatten Frauen bei einer Mastektomie nur die Wahl, die Brust mit einer Silikoneinlage rekonstruieren zu lassen oder auf einen Wiederaufbau zu verzichten. Dank der Fortschritte in der plastischen Chirurgie hat sich das geändert. «Seit einigen Jahren können wir am KSW den Patientinnen auch die Rekonstruktion mit Eigengewebe anbieten», sagt Dr. med. Abdul R. Jandali, Chefarzt Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie. Er hat die Methode, bei der Gewebe vom Bauch oder vom Oberschenkel eingesetzt wird, am KSW eingeführt.
«6300 Frauen in der Schweiz erhalten pro Jahr die Diagnose Brustkrebs.»
Mittlerweile entscheiden sich drei von vier Frauen für diese Variante. Sie führt zum natürlichsten Resultat, der Eingriff ist jedoch umfangreicher. Die Brust zu entfernen und in der gleichen Operation mit eigenem Gewebe wieder aufzubauen, dauert fünf bis acht Stunden. «Nicht alle Patientinnen können deshalb frei wählen», sagt Dr. Jandali. «Allfällige Vorerkrankungen oder ein höheres Alter können dagegensprechen.»
Eigengewebe oder Silikon?
Viviane S. brauchte Zeit zum Nachdenken, nachdem ihr Dr. Jandali die Vor- und Nachteile der verschiedenen Varianten und mögliche Komplikationen erläutert hatte. Dass sie kein Implantat wollte, war ihr bald klar. Und eigentlich wollte sie den Eingriff möglichst klein halten, weshalb sie daran dachte, auf eine Rekonstruktion zu verzichten. «Die Vorstellung, mich mit nur einer Brust im Spiegel zu betrachten, hat mich dann aber doch unsicher gemacht», sagt sie. Bis sie sich für den Wiederaufbau mit Eigengewebe entschied, besprach sie sich noch zweimal mit Dr. Jandali, einmal war auch ihr Mann dabei.
Karin W. musste sich ebenfalls einer Brustoperation unterziehen. In einer brusterhaltenden Operation wurde der Tumor entfernt. Im Lauf der anschliessenden Chemotherapie wurde bei ihr eine seltene Genmutation festgestellt, die mit einem höheren Risiko verbunden ist, erneut an Brustkrebs zu erkranken. Frau W. entschied sich deshalb, prophylaktisch beide Brüste entfernen zu lassen, um das Rückfallrisiko zu reduzieren. Für den Wiederaufbau wählte sie in Absprache mit Dr. med. Florian Johannes Jung, Stv. Chefarzt Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie, ein Implantat aus Silikon. Lange überlegen musste die 44-jährige Frau nicht. «Der Eingriff ist wesentlich kürzer. Und nach der langen Therapie wollte ich alles abschliessen und möglichst schnell wieder in den Arbeits- und Sportalltag zurückkehren.» Frau W. arbeitet Teilzeit, kümmert sich um ihre Tochter und betrieb bis zum Beginn der Behandlung wettkampfmässig Triathlon.
«Rund 200 Operationen an der Brust wurden im Jahr 2021 am Brustzentrum am KSW vorgenommen.»
Eingespielte, hochpräzise Teamarbeit
Für eine Brustrekonstruktion mit Eigengewebe braucht es ein eingespieltes Team von erfahrenen Fachleuten. Vier bis sechs Operateure der Gynäkologie und der Plastischen Chirurgie sind daran beteiligt, dazu Fachleute aus der Anästhesie. Bei Viviane S. war es Dr. med. univ. (A) Rok Satler, der als Erster zum Skalpell griff. Er ist Leitender Arzt der Klinik für Gynäkologie. Seine Aufgabe war es, den Tumor und das Drüsengewebe der Brust zu entfernen. Die Brustwarze, die Haut und das Unterhautgewebe blieben erhalten. «Dabei kommt es darauf an, alle Tumorzellen zu entfernen. Doch es darf auch nicht zu viel Gewebe weggeschnitten werden. Das könnte sonst später die Durchblutung der verbliebenen Brusthaut erschweren», sagt Dr. Satler.
«70% der Operationen bei Brustkrebs können brusterhaltend durchgeführt werden.»
Während Dr. Satler die erkrankte Brust von Viviane S. entfernte, entnahm ein Team der Plastischen Chirurgie an ihrem Bauch einen ovalen Hautlappen, zusammen mit den versorgenden Blutgefässen. Das Gewebe wurde präpariert und daraus eine Brust geformt. Danach übernahm Dr. Jandali, um das Gewebe einzusetzen und unter dem Mikroskop die Blutgefässe an die Brustwand anzuschliessen. Präzision bei der Mikrochirurgie ist wichtig, aber das ist nicht der einzige Faktor. «Es kommt auf die Planung der gesamten Operation und das Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen an.» Davon hängt es letztlich auch ab, ob das Eigengewebe am neuen Ort richtig durchblutet wird. Das wird bereits während der Operation mit einem Farbstoff kontrolliert, der in das Gewebe gespritzt wird.
Einmal pro Stunde wurde bei Viviane S. die Durchblutung des eingesetzten Gewebes nach der Operation im Wachsaal kontrolliert. Am nächsten Tag erhielt sie spezielle Kompressionswäsche. «Eng anliegende Kompressionshosen und einen Stütz-BH zu tragen, ist für die Patientinnen zu Anfang oft nicht so angenehm. Aber es unterstützt die Wundheilung», erklärt Christine Wilkesmann, Klinische Fachspezialistin der Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie.
Zufrieden mit dem Resultat
Christine Wilkesmann ist auch dabei, wenn der Verband entfernt wird und die Frauen zum ersten Mal ihre operierte Brust sehen. Viviane S. erinnert sich gut daran. «Schön sah es nicht aus. Die Brust war geschwollen, die Haut blau unterlaufen.» Doch die Schwellung bildete sich schnell zurück. Heute gefällt ihr die rekonstruierte Brust. «Sie ist sehr ähnlich wie die gesunde Brust. Und sie fühlt sich gleich an, ganz natürlich.» Nur ab und zu spürt Frau S. noch ein leichtes Ziehen. Die grosse Narbe quer über den ganzen Bauch, wo ihr das das Gewebe für den Brustwiederaufbau entnommen wurde, stört sie nicht. «Ich ziehe selten einen Badeanzug an, ich schwimme nicht so gern.»
Auch Karin W. ist mit dem kosmetischen Resultat sehr zufrieden. Doch ihre Brüste fühlen sich anders an. «Durch die Implantate sind die Brüste sehr statisch. Wenn ich mich bewege, gehen sie nicht wie vorher mit», sagt sie. Und wenn sie ihren Brustmuskel anspannt, spürt sie die Implantate, ob beim Schwimmen oder beim Brotschneiden. «Eine Brustrekonstruktion mit Silikon lässt sich nicht mit einer Brustvergrösserung vergleichen. Weil das Drüsengewebe entfernt wurde, liegt das Silikonimplantat direkt unter der Haut. Und das spüre ich jeden Tag.»
Wie Viviane S. würde sich aber auch Karin W. wieder für die gleiche Methode der Brustrekonstruktion entscheiden. Wobei beide Frauen betonen, dass jede Patientin für sich selbst entscheiden muss, welches für sie die beste Wahl ist. Da ist es von Vorteil, wenn ein Brustzentrum wie das am KSW den Patientinnen beide Optionen anbieten kann.
Frauen haben die Wahl
INTERVIEW mit Dr. med. Abdul R. Jandali, Chefarzt Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie
Welche Fortschritte sind in der plastischen Chirurgie bei der Brustrekonstruktion erzielt worden?
Die grosse Veränderung ist, dass in Brustzentren routinemässig Eigengewebe zur Brustrekonstruktion verwendet wird. Früher setzten Gynäkologinnen und Gynäkologen ausschliesslich Brustimplantate ein. Heute können Patientinnen zwischen Eigengewebe und einem Implantat wählen. Wichtig ist auch die klare Arbeitsteilung zwischen Gynäkologie und plastischer Chirurgie. Die einen konzentrieren sich auf die Entfernung des Tumors, wir auf den Wiederaufbau der Brust.
Wie profitieren die Patientinnen von dieser Entwicklung?
Die grosse Routine führt zu mehr Sicherheit. Und die Frauen können die Methode wählen, die für sie am besten ist. Manchmal fällt es den Frauen nicht leicht, sich zu entscheiden, denn beide Methoden haben Vor- und Nachteile. Drei von vier Frauen, die wir am KSW behandeln, ziehen den Wiederaufbau mit Eigengewebe vor.
Worauf kommt es an, damit die Rekonstruktion mit Eigengewebe angeboten werden kann?
Es müssen regelmässig brustchirurgische Eingriffe vorgenommen werden, und zwar nicht nur Rekonstruktionen, sondern auch Operationen zur Brustvergrösserung oder -verkleinerung. Das ist die Voraussetzung, um das für die Formgebung beim Wiederaufbau nötige Gefühl und Routine zu entwickeln. Und es braucht ein Team, das über Routine in Mikrochirurgie verfügt, zudem eine zeitgemässe Infrastruktur.
Wie fühlt sich eine rekonstruierte Brust an?
INTERVIEW mit Christine Wilkesmann, Klinische Fachspezialistin, Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie
Wie erleben Sie Frauen, die mit Brustkrebs und der Entfernung ihrer Brust konfrontiert sind?
Die meisten sind durch die Diagnose Brustkrebs erschüttert, aber sie gehen sehr unterschiedlich damit um. Die einen wollen möglichst wenig wissen, andere fragen ganz genau nach den Optionen.
Wie können Sie die Frauen dabei unterstützen, sich für eine der beiden Rekonstruktionsmöglichkeiten zu entscheiden?
Zentral sind Informationen. Zum einen über den Eingriff, zum anderen anhand der Erfahrungen von Patientinnen, die ich schildern kann. Zudem geben wir kurze schriftliche Berichte ab, in denen Frauen erzählen, wie sie die Operation erlebt haben und wie es ihnen heute geht. So können die Patientinnen sich eine Vorstellung davon machen, wie es sich anfühlt, wenn die Brust mit Eigengewebe oder mit einem Implantat rekonstruiert wurde. Manchen Patientinnen tut es gut, sich zur Entscheidungsfindung mit Frauen auszutauschen, die so eine Operation hinter sich haben. Dann stellen wir den Kontakt her.
Was sind die zentralen Vor- und Nachteile der beiden Methoden?
Der grosse Vorteil der Rekonstruktion mit Eigengewebe ist, dass die Brust sich danach natürlich und warm anfühlt. Hingegen ist der Eingriff wesentlich aufwendiger, und am Bauch oder am Oberschenkel, wo das Gewebe entnommen wurde, bleibt eine grosse Narbe zurück. Die Rekonstruktion mit Silikon dauert weniger lang, das Implantat ist allerdings starr und bleibt ein Fremdkörper. Zudem muss es im Durchschnitt nach zehn Jahren operativ ausgewechselt werden.