Mehr Luft zum Leben – Lilis Alltag mit Asthma
Seit der ersten Klasse spielt Lili Querflöte. Jeden Tag übt die Zwölfjährige 20 bis 30 Minuten lang. Ihr Lieblingskomponist ist Mozart. «Den Türkischen Marsch spiele ich besonders gern», sagt sie und ihre Augen strahlen. Ein anspruchsvolles Stück, das Fingerfertigkeit voraussetzt und – einen langen Atem. «Um einen ganzen Takt zu spielen, muss man gut atmen können», erklärt die aufgeweckte Sechstklässlerin. Noch vor zwei Jahren fehlte ihr diese Fähigkeit und sie wusste nicht, warum.
«Um einen ganzen Takt zu spielen, muss man gut atmen können.»
Lili wollte nicht ausgelacht werden
Ihre Mutter, Karin U., erinnert sich: «Damals beschwerte sich Lili immer öfter über Atemnot beim Querflötenspielen und bei anstrengendem Sport in der Schule.» Obwohl es in ihrer eigenen Familie Asthmatiker gibt, kam Karin U. nie auf den Gedanken, dass ihre Tochter an der verbreiteten Atemwegserkrankung leiden könnte. «Asthma verband ich immer mit Allergien und Anfällen. Diese Symptome hatte Lili nicht», sagt sie. In der Schule waren für Lili vor allem der Sporttag und der Schwimmunterricht schlimm. Schwimmen, weil man unter Wasser den Atem anhalten muss, und der Sporttag wegen des Kilometerlaufs, an dem sie über ihre Grenzen hinausging, selbst wenn sie vor Erschöpfung fast zusammenbrach.
«Ich wollte nicht ausgelacht werden, wenn ich als Letzte ins Ziel komme», gibt sie als Grund dafür an. Lili bewegt sich gern und ist ein lebhaftes Mädchen. Doch die unerklärlichen Atembeschwerden machten ihr zunehmend zu schaffen. Zudem befürchtete sie, als Simulantin abgestempelt zu werden. Schliesslich war der Leidensdruck so gross, dass Karin U. mit Lili die Kinderärztin aufsuchte. Diese überwies das Mädchen nach einer kurzen Beobachtungsphase im März 2023 mit Verdacht auf Long Covid ans KSW.
«Asthma verband ich immer mit Allergien und Anfällen. Diese Symptome hatte Lili nicht.» Karin U.
Diagnose: schweres Asthma
In der Abteilung für Kinderpneumologie führten die Spezialisten zunächst verschiedene diagnostische Abklärungen und Lungenfunktionstests durch. Lili erinnert sich: «Das war spannend. Unter anderem musste ich mich auf einen Stuhl setzen, tief einatmen und dann kräftig in ein Rohr blasen. Als Hilfe waren auf dem Bildschirm Dinge abgebildet. Zum Beispiel eine Kerze, die ich ausblasen musste.» In einem weiteren Test durfte Lili die Atmung ohne und mit Inhalator vergleichen. Das anschliessende Gespräch mit Dr. med. Andreas Jung, Leitender Arzt Pädiatrische Pneumologie, fand Lili angenehm. «Vor dem Gespräch dachte ich, dass es sicher seltsam wird», sagt sie und ihre Mutter bestätigt: «Wir fühlten uns von Anfang an gut aufgehoben.»
Die Ergebnisse aller Untersuchungen liessen für den Spezialisten keinen Zweifel zu: «Es war ganz offensichtlich, dass Lili unter Asthma leidet. Zudem zeigten die Tests Sensibilität gegenüber Katzenhaaren, Hausstaubmilben und Pollen an.» Von der Diagnose überrascht, liess Karin U. Lilis Zwillingsschwester Sophie und die drei Jahre jüngere Lena auf Asthma testen, zumal die beiden ebenfalls Symptome gezeigt hatten. Tatsächlich haben auch Lilis Schwestern eine schwächere Form von Asthma. Die Erkrankung scheint also bei der Familie U. teilweise genetisch bedingt zu sein, und Lili ist am stärksten betroffen.
«Kindliches Asthma ist eine Erkrankung, die oft ein dauerhafter Begleiter wird und das Familienleben stark beeinflussen kann.» Dr. med. Andreas Jung
Inhalieren und dann Zähne putzen
Mit dem Ziel, Lilis Lungenfunktion und damit ihre Lebensqualität möglichst schnell zu verbessern, leiteten Dr. Jung und sein Team eine sofortige Inhalationsbehandlung ein. «Kindliches Asthma ist eine Erkrankung, die oft ein dauerhafter Begleiter wird und das Familienleben stark beeinflussen kann. Mit einer angepassten Therapie unterstützen wir die kleinen Patientinnen und Patienten dabei, ein weitgehend normales Leben zu führen.» So begann Lili, morgens und abends vor dem Zähneputzen einen Wirkstoff gegen Asthma zu inhalieren.
Notfallspray gibt Sicherheit
Zur Sicherheit hat Lili zudem von Dr. Jung einen Notfallspray bekommen. Ob sie den schon einmal benutzt habe? Schon sprudelt es aus ihr heraus: «Oh ja. Zum Beispiel einmal während eines Mattenlaufs in der Schule. Mattenlauf ist anstrengend, weil man so viel rennen muss. Als ich wieder auf der Matte ankam, fühlte ich mich plötzlich seltsam. Ich setzte mich hin, sah nur noch verschwommen und hörte die Stimmen der anderen wie von weit her.» Eine Mitschülerin brachte ihr den Notfallspray, und nach rund sieben Minuten ging es Lili zum Glück besser. Ob sie in dieser Situation Angst gehabt habe? «Nein, Angst hatte ich keine», sagt Lili, «denn seit dem Test im Kantonsspital weiss ich, dass ich sofort wieder besser atmen kann, wenn ich den Inhalator benutze.»
«Mit einer angepassten Therapie unterstützen wir die kleinen Patientinnen und Patienten dabei, ein weitgehend normales Leben zu führen.» Dr. med. Andreas Jung
Biologika als Chance für weitere Besserung
Die Diagnose Asthma war für Lili und die ganze Familie sicher eine Hiobsbotschaft, aber gleichzeitig auch eine Entlastung. Dank der Therapie, des Notfallsprays und der fachlichen Beratung können alle besser mit der Atemwegserkrankung umgehen. Die Lehrerin hat zudem ihre Mitschülerinnen und Mitschüler über Asthma aufgeklärt. Das ist wichtig, denn Lili braucht viel Energie, um den Alltag zu bewältigen. Die Sechstklässlerin bereitet sich nämlich zurzeit aufs Gymnasium vor. Schliesslich will sie einmal Ärztin werden. Im Juni 2024 hat Lili am KSW zusätzlich eine Biologika-Therapie angefangen. Bei dieser Behandlung gegen schweres Asthma erhalten Betroffene regelmässig eine Spritze mit biotechnologisch hergestellten Antikörpern. Biologika wirken im Körper mehrere Wochen lang; mit ihnen können bestimmte Entzündungstypen bei Asthma gezielt und äusserst wirksam behandelt werden. Alle vier Wochen bekommt Lili an der Tagesklinik der Kinder- und Jugendmedizin am KSW das Biologikum unter die Haut gespritzt. Obwohl sich die körperliche
Leistungsfähigkeit verbessert hat, wurde die Therapie aufgrund der Lungenfunktion und der Restsymptomatik erneut angepasst. Die leichte Verbesserung macht Lili schon glücklich. «Heute kann ich auf der Querflöte ganze Takte spielen», sagt sie fröhlich und stellt ihr beachtliches Können mit einer kleinen Kostprobe unter Beweis.
«Seit dem Test im Kantonsspital weiss ich, dass ich sofort wieder besser atmen kann, wenn ich den Inhalator benutze.» Lili
Viele Kinder haben Asthma
Interview mit Dr. med. Andreas Jung, Leitender Arzt, Pädiatrische Pneumologie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Kommt Asthma bei Kindern häufig vor?
Ja. Asthma ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. In der Schweiz sind in diesen Altersgruppen rund 10 Prozent betroffen.
Was sind die Ursachen für die Atemwegserkrankung?
Wahrscheinlich gibt es genetische Faktoren, die das Risiko für Asthma erhöhen. Diese sind aber noch nicht so gut untersucht. Zu den häufigsten Triggern für Asthma gehören Allergien, körperliche Belastungen oder Atemwegsinfekte. Die Ursachen sind bei allen Betroffenen unterschiedlich.
Mit welchen Symptomen wurde Ihnen Lili im März 2023 vorgestellt?
Die Kinderärztin überwies mir Lili wegen anstrengungsabhängiger Atembeschwerden bis hin zu Atemnot, Beschwerden beim Musizieren und unklarer Hustenepisoden.
Bei Lili hat sich die Diagnose Asthma klar bestätigt. Welche Therapie leiteten Sie ein?
Wir starteten mit einer konventionellen Inhalationstherapie mit dem Ziel, die Symptome im Alltag unter Kontrolle zu bringen sowie die Lungenfunktion zu normalisieren und die Bronchialentzündung zu behandeln. Im Verlauf der Behandlung stellte sich heraus, dass Lili eine schwere Form von Asthma hat. Auch mit einer relativ hoch dosierten kombinierten Inhalationstherapie mit verschiedenen Wirkstoffen haben wir keine vollständige Symptomkontrolle erreicht. Lilis Lungenfunktion war weiterhin eingeschränkt. Kurzzeitig brauchte sie sogar Kortisontabletten.
Was unternahmen Sie, um Lilis schweres Asthma in den Griff zu bekommen?
Im Juni 2024 haben wir eine zusätzliche Therapie mit einem sogenannten Biologikum gestartet. Biologika sind moderne Medikamente, die auf ganz spezifische Asthmaphänotypen ausgelegt sind. Sie werden in regelmässigen Abständen injiziert. Die Therapie hat zum Ziel, die starke Entzündungsreaktion zu blockieren und das Asthma zu lindern. Unsere Erfahrung zeigt, dass mit dieser Therapie viele Kinder und Jugendliche das Erwachsenenalter relativ beschwerdefrei und mit einer guten Lungenfunktion erreichen.