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Nachtarbeit im KSW: Sie pflegt nachts Schwerverletzte

Nachtarbeit im KSW: Sie pflegt nachts Schwerverletzte

Das Kantonsspital Winterthur ist ein 24-Stunden-Betrieb. Für viele, die dort tätig sind, gehört Nachtarbeit zum Alltag. Eine von ihnen ist Alessia L..

Es ist kurz nach drei Uhr morgens. Alessia L. kontrolliert die Messwerte ihres Patienten. Es sieht nicht gut aus: «Er muss wahrscheinlich wieder intubiert werden.» Der Mann hat nach einem Sturz ein sogenanntes Polytrauma erlitten. Verletzt ist unter anderem die Lunge. Das Atmen fällt ihm schwer, das Reden auch. Mit grösster Mühe presst er kehlige Laute hervor. «Er hat viel Schleim auf der Lunge», sagt die Expertin für Intensivpflege. Zuvor hat sie das Organ mit dem Stethoskop abgehört.

Um 22.30 Uhr hat L. ihre Schicht angetreten. Und ist seither nicht vom Bett des Patienten gewichen. Weil dieser verwirrt sei, brauche es die Eins-zu-eins-Betreuung. «Ich muss aufpassen, dass er keine Katheter oder Kabel entfernt.» In dieser Nacht sind auf der Intensivstation, eine von zweien im Haus, vier Pflegerinnen für sechs Patienten da. «Auf der Intensiv ist man für maximal zwei Patientinnen und Patienten zuständig», erklärt L.

Mit einer Kamera wird sichergestellt, dass der Beatmungsschlauch in die Luftröhre geht.

Die 24-Jährige arbeitet erst seit vier Monaten am KSW. Nach der Lehre als Fachfrau Gesundheit und der Höheren Fachschule machte sie ein zweijähriges Nachdiplom in der Intensivpflege. «Hier am KSW als Zentrumsspital gibt es mehr komplexe Fälle», sagt L. Davor war sie am Spital in Schaffhausen, wo sie aufwuchs und aktuell in einer WG lebt. Am liebsten arbeite sie Nacht- und Frühschicht, da es sich am besten mit dem Sozialleben vereinbaren lasse. In ihrer Freizeit geht L. zudem vier bis fünf Mal pro Woche ins Krafttraining. Der Beruf sei ihr ein Stück weit in die Wiege gelegt worden: «Meine ganze Familie arbeitet im Gesundheitswesen.»

Künstliche Beatmung

Plötzlich läutet das Telefon. Der diensthabende Arzt hat seinen Entscheid gefällt: Der Patient wird in einer Viertelstunde intubiert. Alle wissen, was zu tun ist. Alessia L. holt den Reanimationswagen, in dem auch das Material für die Intubation ist. Etwa ein Spatel mit Kamera, mit dem sichergestellt wird, dass der Beatmungsschlauch in die Luftröhre geht. Eine andere Pflegefachfrau zieht die nötigen Medikamente auf. Ein Dritte kümmert sich um die Dokumentation. «Sein Zustand hat sich nicht verändert», sagt L. zum Arzt und erzählt, was sie gemacht hat.

Der Arzt setzt sich zum Patienten auf die Bettkante. «Es ist schwer mit Schnufe, hm?», fragt er und verspricht, dass es besser wird. Der Mann war die ganze Nacht durchgehend an ein sogenanntes «High Flow»-Gerät angehängt. Bevor es losgeht, wird der Sauerstoffgehalt an diesem weiter erhöht. Über einen Schlauch in seiner Nase strömen pro Minute 60 Liter erwärmte Luft mit einem Sauerstoffgehalt von 60 Prozent in seine Lunge. «Das Ziel ist es, das Blut vor der Intubation mit möglichst viel Sauerstoff anzureichern», so L. Dies als «Puffer», bis die künstliche Beatmung einsetzt. Zudem erhält der Mann ein Medikament, das die Muskeln entspannt, ein Opiat und ein Schlafmittel.

Der Kurve auf dem Monitor zeigt, wie die Atmung kurz aussetzt, bevor die Maschine übernimmt. Es sei alles gut gegangen, sagt L. nach der Intubation: «Der Patient hat zuvor noch bestätigt, dass es für ihn zu anstrengend ist, selbst zu atmen», sagt sie. Das sei in seinem verwirrten Zustand nicht selbstverständlich. Für sie seien verwirrte Patienten eine der grössten Herausforderungen: «Sie werden häufig aggressiv, wenn man ihnen helfen will.» In solchen Situationen denke sie an ihren Vater, einen Rettungssanitäter, mit dem sie wie auch mit dem Team oft über solche Themen spreche.

Ihr Vater vergleiche das Leben dann jeweils mit einem Film: «Im Beruf sind wir Nebendarsteller in den Filmen von anderen. Es ist okay, danach nach Hause und zurück in den eigenen Film zu gehen», sagt sie. Das rufe sie sich in schwierigen Momenten in Erinnerung. Etwa bei einem Todesfall. «Irgendwann ist der Film fertig.»

Der Patient, der hier intubiert wird, hat eine verletzte Lunge. Es fällt ihm schwer, aus eigener Kraft zu atmen.

Wiedersehen mit Patientinnen und Patienten

Der Patient, der nun schläft, soll nicht zu lange intubiert bleiben, erklärt Alessia L.: «Die Lunge gewöhnt sich schnell an die künstliche Beatmung und die Atemmuskulatur baut ab.» Neben Unfallopfern gebe es noch weitere typische Fälle auf der Intensivstation: Etwa Patienten mit Blutvergiftung, Herzinfarkten, Lungenentzündungen oder solche, die gerade eine grössere Operation hinter sich hätten.

Gerade bei Patientinnen und Patienten, die lange auf der Intensivstation liegen, entwickle sich eine Beziehung zu den Angehörigen. Manche von ihnen hätten nach ihrer Genesung das Bedürfnis nach einem Besuch, gerade wenn sie nicht bei vollem Bewusstsein waren: «Sie wollen den Ort sehen, an dem sie so viel Zeit verbracht haben.» Vom Piepsen der Geräte bis hin zum Rauschen der Schläuche sei man hier auch unterbewusst mit vielen Geräuschen konfrontiert. Während Alessia L. ihrem Patienten zuvor nicht von der Seite weichen durfte, hat sie nun mehr Zeit, etwa für das Nachführen der Dokumentation. Um 7.30 Uhr übergibt sie dem Frühdienst und fährt nach Hause: «Meistens schlafe ich schon im Zug ein.»

Die Fachfrau Intensivpflege Alessia L. arbeitet am liebsten in der Nacht- und Frühschicht.

Landbote-Serie: Nachts im Kantonsspital Winterthur

In einer vierteiligen Reportageserie begleiteten Delia Bachmann (Text) und Madeleine Schoder (Bild) Menschen, die nachts im Kantonsspital Winterthur (KSW) arbeiten. Denn das Spital mit seinen 500 Betten schläft nie. Rund um die Uhr betreuen Ärztinnen und Ärzte Notfälle, bringen Mütter ihre Babys zur Welt und wachen Freiwillige über Patientinnen und Patienten. Nicht zu vergessen, die guten Seelen aus dem Reinigungsteam, die zum Beispiel nach jeder Operation die OP-Säle gründlich putzen und desinfizieren. Doch lesen Sie selbst.

Das KSW dankt dem Landboten herzlich dafür, dass wir die Reportagen, die zwischen dem 4. und 25. Oktober 2024 in der gedruckten Zeitung wie auf www.landbote.ch erschienen sind, auf unserer Website publizieren dürfen.