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Nachtarbeit im KSW: Sie wacht nachts an den Betten

Nachtarbeit im KSW: Sie wacht nachts an den Betten

Das Kantonsspital Winterthur ist ein 24-Stunden-Betrieb. Für viele, die am KSW tätig sind, gehört Nachtarbeit zum Alltag. Eine von ihnen ist Maya R..

Vor dem Zimmer steht ein Paravent auf Rollen, der die Patientin vor Blicken schützt. Aus der halboffenen Tür dringt ein abgehacktes Schnarcheln. Eine Pflegefachfrau verschwindet darin und kommt kurz darauf mit Maya R. zurück. Die 69-Jährige wacht in dieser Nacht als freiwillige Sitzwache über eine Patientin: «Bei ihr bin ich nun schon das zweite Mal, was sonst selten vorkommt», sagt R., die von Haus aus Bäuerin ist. In Dachsen führte sie bis vor dreieinhalb Jahren den Riethof, der auch eine beliebte Location für Events und Hochzeiten ist.

Nach der Übergabe des Hofs an die Tochter meldete R. sich als freiwillige Sitzwache am Kantonsspital Winterthur: «Es macht mir Freude, wenn ich jemandem etwas Gutes tun kann», sagt sie. Sie sei dankbar für ihr Leben und möchte etwas zurückgeben. Zudem könne das engagierte Pflegepersonal jede Unterstützung brauchen. «Man braucht keine medizinische Ausbildung, muss aber gern für Menschen da sein», sagt sie.

Die pensionierte Landwirtin Maya R. gehört zu einem Pool von etwa fünfzig freiwilligen Sitzwachen am KSW.

Bis zum letzten Atemzug

Maya R. gehört zu einem Pool von etwa 50 Freiwilligen, die der Seelsorge unterstellt sind. Nach einem Einführungskurs wachen sie nachts an den Betten von Patientinnen und Patienten, die nicht alleine sein dürfen oder wollen: «Bei Dementen müssen wir etwa aufpassen, dass sie nicht aufstehen oder die Infusion rausreissen», erklärt R. Pro Monat macht sie mindestens zwei Schichten, die jeweils um 22 Uhr beginnen. Das telefonische Aufgebot bekommen die Freiwilligen jeweils gegen 11 Uhr am Einsatztag.

Dass jemand einfach schläft, kommt laut R. selten vor: «Es gibt Patientinnen und Patienten, die sprechen die ganze Nacht durch. Andere wollen ihre Ruhe. So ist jede Nacht anders», sagt sie. Vor der Schicht wisse sie nur wenig über die Patientinnen und Patienten. Sie merke aber schnell, ob jemand will, dass sie in der Ecke sitze oder nah am Bett. Bei der heutigen Patientin sei Letzteres der Fall: «Sie sagt jedes Mal danke, wenn ich ihr etwas vorsinge oder ihr die Hand massiere.» Auch die Angehörigen und die Pflege seien den Freiwilligen gegenüber sehr dankbar.

Maya R. singt manchen Patientinnen und Patienten etwas vor oder hält ihnen die Hard. Bei anderen hält sie sich im Hintergrund.

Als Sitzwache hat R. schon einigen Menschen, die im Sterben lagen, die Hand gehalten: «Wenn jemand stirbt, ist das nicht unbedingt das Schwierigste», sagt sie. Der Tod könne auch eine Erlösung sein. Belastender sei es, wenn jemand kurz zuvor einen schlimmen Bescheid bekommen habe. Sie erzählt von einem Patienten, bei dem der Krebs trotz Operation und Chemo gestreut hat. Tagsüber habe er mit der Familie alles relativ gefasst besprochen: «Er wollte seine Familie nicht belasten. Aber in der Nacht kam die Angst hoch.»

Zmorge mit den Enkeln

In solchen Situationen brauche es viel Empathie. Und Verständnis, etwa wenn jemand mit grosser Wut reagiere. Gelinge es nicht, eine Person zu beruhigen, läutet R. die Glocke. Nach jeder Schicht schreiben die freiwilligen Sitzwachen einen Rapport. Einmal im Monat treffen sie sich, um über belastende Situationen zu sprechen. Und um Neues zu lernen: «Es gibt gute Weiterbildungen. Zum Beispiel zum Umgang mit dementen Menschen.» Manche Ehrenamtliche stünden noch im Berufsleben, andere schon sehr lange nicht mehr: «Der Älteste trat gestern mit 90 nach 25 Jahren aus dem Pool aus.»

Um sieben Uhr morgens endet die Schicht von Maya R. Auf der Heimfahrt geht sie die Nacht jeweils nochmals im Kopf durch: «Ich verspüre dann eine grosse Dankbarkeit, dass es uns so gut geht.» Dann setze die Müdigkeit ein: Am schwierigsten seien die letzten hundert Meter. Daheim trifft sie die Enkel, die den Kindergarten besuchen, beim Frühstück. Nach einem Kaffee lege sie sich bis am Mittag aufs Ohr: «Ich komme mit wenig Schlaf aus», sagt R. ehe eine Mitarbeiterin das Stationszimmer betritt. Die Patientin sei aufgewacht und wolle nicht allein sein. Maya R. verabschiedet sich und verschwindet wieder im Zimmer.

Tagsüber herrscht im Kantonsspital Winterthur ein Gewusel, in der Nacht kehrt seltene Ruhe ein.

Freiwillige Sitzwachen gesucht

Die Sitzwache am KSW sucht immer wieder Freiwillige. Falls Sie sich von der Geschichte von Maya R. angesprochen fühlen, würde es uns freuen, wenn  Sie sich für den Ausbildungskurs vom 11./12. April und 16./17. Mai 2025 anmelden – per E-Mail an sitzwache@ksw.ch oder telefonisch unter 052 266 21 21. Herzlichen Dank.

Freiwillige Sitzwache

Niemand soll im Spital alleine sein. Die Freiwillige Sitzwache begleitet Patientinnen und Patienten auf Wunsch durch die Nacht.
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Landbote-Serie: Nachts im Kantonsspital Winterthur

In einer vierteiligen Reportageserie begleiteten Delia Bachmann (Text) und Madeleine Schoder (Bild) Menschen, die nachts im Kantonsspital Winterthur (KSW) arbeiten. Denn das Spital mit seinen 500 Betten schläft nie. Rund um die Uhr betreuen Ärztinnen und Ärzte Notfälle, bringen Mütter ihre Babys zur Welt und wachen Freiwillige über Patientinnen und Patienten. Nicht zu vergessen, die guten Seelen aus dem Reinigungsteam, die zum Beispiel nach jeder Operation die OP-Säle gründlich putzen und desinfizieren. Doch lesen Sie selbst.

Das KSW dankt dem Landboten herzlich dafür, dass wir die Reportagen, die zwischen dem 4. und 25. Oktober 2024 in der gedruckten Zeitung wie auf www.landbote.ch erschienen sind, auf unserer Website publizieren dürfen.