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Rückblende

Vor 100 Jahren am KSW – und im Rest der Welt

Nelson Mandela, der Aktivist und erste dunkelhäutige Präsident von Südafrika, wird geboren. Im gleichen Jahr erhalten Frauen in Deutschland das Wahlrecht (in der Schweiz war es erst 1971 so weit), während der Deutschen beliebteste Vornamen Gertrud und Karl sind.

Das Jahr 1918 ist ein Jahr, das Europa und die Welt nachhaltig verändert. Der Erste Weltkrieg, der nun endet, verwandelte Europa von einer Region dynastischer Grossreiche in einen Kontinent von Nationalstaaten. Noch Monate vor Kriegsende herrschte in Deutschland eine merkwürdig positive Stimmung, die vom elenden Hunger nicht getrübt werden konnte. Die Euphorie ist jetzt mit der Kriegsniederlage verschwunden, während der Hunger und die knappen Lebensmittelrationen geblieben sind. Auch in der Schweiz herrscht laut Jahresbericht des KSW von 1918 Knappheit, doch obwohl es in der vom Krieg gezeichneten Zeit schwierig ist, alle nötigen Utensilien zu beschaffen, müssen weder Personal noch Patienten des Kantonsspitals Winterthur Gewohntes entbehren.

Es wird eng

Der Krieg ist zwar vorbei, doch das Elend nimmt noch kein Ende. Im Herbst bricht die Spanische Grippe aus. Binnen weniger Wochen erkrankt ein Drittel der Weltbevölkerung daran. Durch die Grippe verliert die US-amerikanische Armee etwa gleich viele Infanteriesoldaten wie durch die Kampfhandlungen während des gesamten Ersten Weltkriegs. Und auch die Schweiz bleibt nicht verschont. Laut Gesundheitsbehörden sind zum Höhepunkt der «Herbstwelle» zwei Drittel der Schweizer Bürger krank. Das Kantonsspital Winterthur erlebt einen enormen Andrang von Patienten, im Oktober 1918 kommt es schliesslich an seine Kapazitätsgrenze. Glücklicherweise werden dem Spital zwei Kindergartengebäude im Inneren und im Äusseren Lind zur Verfügung gestellt, wo die Genesenden untergebracht werden können. Das KSW verfügt somit über ein (vorübergehendes) Spitalhotel avant la lettre!

Nicht nur auf der Bettenstation des Kantonsspitals Winterthur herrscht Platzmangel, auch auf personeller Ebene wird’s eng. Damit das Dienstpersonal und die Schwestern untergebracht werden können, erwirbt das Spital an der Ecke Brauer- und Hopfenstrasse für 36’000 Franken ein Doppelwohnhaus, in dessen 18 Wohnungen künftig Angestellte hausen können. Die Investitionslust hält an, und so wird obendrein ein langjähriger Wunsch der Spitaldirektion erfüllt: ein Krankentransportautomobil. Die ruhige Gangart und die komfortable Inneneinrichtung der 36’000 Franken teuren Anschaffung (eine Ambulanz kostet erstaunlicherweise gleich viel wie ein Haus) erleichterten den Transport der Kranken sehr, wie es im Jahresbericht des KSW von 1918 heisst.

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Auch für die Pferde heisst es strammstehen in Reih und Glied. Quelle: Schweizerisches Bundesarchiv

Am Rande eines Bürgerkrieges

Nach Erleichterung sehnen sich auch die Schweizer Arbeiterinnen und Arbeiter. Hohe Teuerung, niedrige Löhne und knappe Lebensmittelvorräte sind die Folgen des Ersten Weltkriegs. Während die Schweizer Arbeiterschaft schon im Verlauf des Krieges in bittere Not geriet, stellten einige inländische Fabrikanten kriegswichtige Produkte her und erwirtschafteten damit fette Gewinne. Die Linke protestiert nun lautstark gegen diese soziale Benachteiligung, doch der herrschende Bürgerblock – wie auch der ausschliesslich mit Bürgerlichen besetzte Bundesrat – zeigt wenig Bereitschaft, der unheilvollen Situation entgegenzuwirken. Die Linke wehrt sich und fordert das Bürgertum heraus, bis der Konflikt schliesslich eskaliert.

Als der Bundesrat nach einem lokalen Streik in Zürich Truppen aufbietet – allein in der Limmatstadt werden 20’000 Soldaten stationiert, weitere Zehntausende in anderen Städten des Landes –, antwortet das Oltener Aktionskomitee, der Führungsstab der Arbeiterschaft, mit dem Ausruf eines eintägigen Generalstreiks in 19 Städten als Protest gegen das als Provokation empfundene Aufgebot der Armee.

Da die laufenden Verhandlungen zu keinen Ergebnissen führen, ruft das Oltener Komitee am 12. November schliesslich den Landesstreik aus. 250’000 Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte legen die Arbeit nieder. Doch die Arbeiterführer befürchten, dass der Streik durch die Armee niedergeschlagen wird. Einen Bürgerkrieg will niemand riskieren, deshalb wird der Ausstand am dritten Tag abgebrochen. Armee und Bundesrat gehen als Sieger vom Platz – zumindest vorläufig. Denn die Forderungen der Linken nach der Einführung der 48-Stunden- Woche und nach vorgezogenen Wahlen werden schliesslich doch erfüllt. Die Sozialdemokraten werden im kommenden Jahr über doppelt so viele Sitze im Parlament wie bisher verfügen. Der Linken gelingt es damit, Teil des politischen Systems der Schweiz zu werden.