Warum liegt die Brille im Kühlschrank?
«Mit solchen und ähnlichen Vorgeschichten kommen erwachsene Menschen mit Verdacht auf Hirnleistungsstörungen zu uns in die Memory Clinic», erklärt Kyriaki Alvanou, Oberärztin Akutgeriatrie. In der Sprechstunde werden die zugewiesenen Patientinnen und Patienten interdisziplinär abgeklärt. Das bedeutet: Ärztinnen und Ärzte aus unterschiedlichen Fachgebieten führen Untersuchungen durch und besprechen sowohl die Diagnose als auch die Behandlungsempfehlungen im Team. Zum Team gehören die Spezialistin der Altersmedizin, der Neurologe Dr. med. Jan Dracklé und der Neuropsychologe Dr. phil. Marc Schwind.
«Für die Betroffenen ist es von Vorteil, Abklärungen früh in Angriff zu nehmen. Wir haben dann bessere Chancen, den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen.»
«Bei Verdacht auf eine Demenzerkrankung ist eine Abklärung in der Memory Clinic angezeigt», sagt Dr. Dracklé. Es gibt verschiedene Erkrankungen, die zu einem Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit führen. Einige davon sind gut behandelbar. Insofern ist der hohe Aufwand bei der Abklärung gerechtfertigt. Dr. Dracklé weiter: «Weil die Bevölkerung immer älter wird, werden Demenzerkrankungen in den kommenden Jahren zunehmen. Für die Betroffenen ist es von Vorteil, Abklärungen möglichst früh in Angriff zu nehmen. Wir haben dann bessere Chancen, den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen.» Durch intensive Forschung ergeben sich neue Möglichkeiten bezüglich Diagnostik und Therapie von Demenzerkrankungen. So gibt es für die Alzheimer-Erkrankung inzwischen ein erfolgversprechendes Medikament, das im nächsten Jahr wahrscheinlich auch in der Schweiz zugelassen wird. Das macht Mut.
Angehörige wirken stabilisierend
Was aber ist eine Demenzerkrankung überhaupt? Vergesslich werden wir mit zunehmendem Alter doch alle ein bisschen. In der Medizin spricht man von Demenz, wenn die Leistungsfähigkeit des Gehirns – insbesondere das Gedächtnis, aber auch das logische Denken, die Sprache, das Erkennen von Dingen oder Personen, die Orientierung oder das Planen – so stark abgenommen hat, dass der normale Alltag erschwert wird.Im Alter steigt das Risiko, an Demenz zu erkranken. Viele Betroffene schämen sich für ihre zunehmende Zerstreutheit. Oder sie haben Angst vor einer Diagnose, wie Dr. Schwind bestätigt: «Diese Gefühle sind verständlich. Wer möchte schon erfahren, dass eines seiner wichtigsten Organe erkrankt ist? Schliesslich prägt das Gehirn unsere Persönlichkeit.»
Eine frühe Abklärung ist sehr wichtig. Einige Erkrankungen, die zu Demenz führen, sind gut behandelbar. In anderen Fällen kann der Verlauf bei einer frühzeitigen Diagnosestellung günstig beeinflusst werden. Zudem ist die Diagnose auch für Angehörige eine grosse Erleichterung: Ist die Ursache der Symptome bekannt, können die Betroffenen und ihre Angehörigen meist besser damit umgehen. Die noch vorhandenen Stärken und Ressourcen können gefördert werden, und beim Vorliegen von Einschränkungen ist eine gezielte Unterstützung möglich.
«Das Verständnis der Angehörigen wirkt stabilisierend auf die Betroffenen. Deshalb sind wir sehr froh, wenn die Patientinnen und Patienten von Angehörigen zu den Untersuchungen begleitet werden», meint Dr. Schwind. Auch die Töchter von Herrn K. begleiteten ihren Vater in die Memory Clinic. Die Untersuchungen finden an drei Terminen ambulant statt.
«Alles andere ist unwichtig»
Für alle drei Schritte nimmt sich das Spezialistenteam viel Zeit. «Jeder Mensch ist anders», erklärt die Oberärztin Akutgeriatrie, Kyriaki Alvanou. «Es ist uns ein Anliegen, alle Patientinnen und Patienten sorgfältig abzuklären. Wir beraten sie und ihre Angehörigen individuell und beantworten alle ihre Fragen.» Das Team der Memory Clinic hat bei Herrn K. eine Alzheimer-Demenz festgestellt. Die Diagnose zu kennen, ist für Herrn K. und seine Töchter eine Erleichterung, da sie nun die Einschränkungen und Verhaltensveränderungen besser einordnen können. Ihnen ist auch bewusst geworden, dass man nicht von heute auf morgen an Demenz erkrankt. Die Erkrankung ist ein Prozess, auf den man sich – vor allem bei einer frühen Diagnose – innerlich einstellen und den man mit geeigneten Massnahmen positiv beeinflussen kann. Wichtig ist der Fokus auf die verbleibenden Stärken. Dr. Dracklé zitiert dazu gern einen Patienten, der einst sagte: «Was wichtig ist, das weiss ich noch. Alles andere ist unwichtig.»
Abklärung in drei Schritten
Schritt 1
In einem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten und den Angehörigen verschaffen sich die Oberärztin der Akutgeriatrie und der Oberarzt der Neurologie einen umfassenden Überblick über die Gesamtsituation. Sie führen eine allgemeinmedizinisch-geriatrische und eine neurologische Untersuchung durch. Unter anderem werden auch das Gehör und die Sehkraft getestet. Je nach Notwendigkeit wird ergänzend Blut entnommen für weitere Abklärungen sowie eine bildgebende Untersuchung des Kopfes (Magnetresonanztomographie) durchgeführt. Ausserdem werden die Resultate allfälliger Voruntersuchungen ausgewertet und in den Gesamtkontext einbezogen.
Schritt 2
Der Neuropsychologe Dr. Schwind und sein Team befragen die Patientinnen oder Patienten und ihre Angehörigen zu Veränderungen und Schwierigkeiten im Alltag und untersuchen mit verschiedenen Tests die Funktionen des Gehirns, um eventuell vorliegende Einschränkungen der Hirnleistung und noch vorhandene Ressourcen zu erkennen und einzuordnen.
Schritt 3
Nachdem die Spezialistinnen und Spezialisten den Fall besprochen haben, wird das Resultat der Patientin oder dem Patienten und den Angehörigen in einem ausführlichen Gespräch mitgeteilt. Es erfolgt eine Empfehlung für eine individuell zugeschnittene Behandlung. Diese umfasst nicht nur die Gabe von Medikamenten. Die Betroffenen erhalten auch konkrete Vorschläge zum Umgang mit der Erkrankung.
Zusätzlich wird über Entlastungsangebote für Angehörige informiert, da es erfahrungsgemäss äusserst wichtig ist, diese vor Erschöpfung zu schützen. Die Weiterbehandlung übernimmt dann in der Regel der Hausarzt oder die Hausärztin.
Demenz vorbeugen?
Durch bestimmte Massnahmen lässt sich – je nach Ursache – das Risiko senken, an Demenz zu erkranken, oder das Auftreten einer Demenzerkrankung verzögern. Verschiedene Faktoren können sich positiv auswirken. Das Team der Memory Clinic rät:
- Pflegen Sie auch nach dem Erwerbsleben soziale Kontakte.
- Bleiben Sie geistig aktiv, üben Sie Hobbys aus.
- Ernähren Sie sich ausgewogen und vielseitig (z. B. mediterrane Kost).
- Treiben Sie Ausdauersport oder bewegen Sie sich in der Natur (z. B. Walking, Schwimmen, Fahrradfahren, Yoga etc.).
- Achten Sie auf ausreichenden und erholsamen Schlaf.
- Lernen Sie, wie Sie besser mit Stress umgehen können (z. B. Entspannungsübungen wie autogenes Training).
- Lassen Sie Risikofaktoren für Gefässerkrankungen wie z. B. Bluthochdruck, Rauchen, Fettstoffwechselstörungen oder Übergewicht hausärztlich abklären und behandeln